Am Montag, den 17.07.2021 starteten wir das Projekt „Kreideaktion“, um acht Uhr morgens. Als wir Studierenden durch die Gießener Straßen liefen, waren diese noch fast menschenleer. Wir positionierten uns an folgenden vier zentralen Orten in Gießen: dem Elefantenklo (Malerei), dem Behördenvorplatz (Manga), auf dem Seltersweg (Fotografie) und vor dem Bahnhof (Zeichnung).
Jede Gruppe war mit bunter Kreide, Seilen, guter Laune, weißen Schutzanzügen und einer künstlerischen Vorlage im Rasterformat ausgestattet. Mit Hilfe der Seile übertrugen wir Studierenden und gleichzeitig Mentor*innen, für die teilnehmenden Schüler*innen, Kreideraster auf die Straßen. Es war ein aufregendes Wiedersehen und gleichzeitiges Kennenlernen für uns Studierende, wie auch für die Schüler*innen. Nicht nur wir haben uns Monate lang nicht gesehen, auch die Teilnehmer*innen begegneten uns und einander zum ersten Mal im „Realen“, außerhalb der digitalen Plattform der online Kunstwerkstatt, in welcher wir die letzten 3 Monate zusammen gearbeitet haben.
In dieser Zeit haben wir folgende Motive für die Kreideaktion erarbeitet: eine schwarz-weiß Fotografie einer Glasflasche, welche an den tristen Alltag im Lockdown erinnern sollte, eine grüne Stadtlandschaft, welche zur Erneuerung und Wiederbelebung der Stadt appellierte, mehrere Abbildungen von verschiedenen Liebesformen, welche für mehr Toleranz standen und ein Bild über die starken Frauen der Geschichte und ihren Einfluss auf uns als Vorbildfunktion, welches für die Aufforderung nach der Emanzipation stand.
Um zehn Uhr kamen dann die Schüler*innen hinzu und übertrugen die Vorlage auf das Raster, welche anschließend mit der bunten Kreide ausgearbeitet wurde. Gleichzeitig wurde die Stadt um uns herum immer lebendiger. Je weiter die Bilder fortschritten, desto öfter wurden wir von interessierten Passant*innen angesprochen. Zu Anfang war es noch etwas seltsam, so über die Schulter geschaut zu bekommen, doch mit der Zeit gewöhnten wir uns daran und die Passant*innen wurden Teil der Kreideaktion. Gerade die Gespräche zwischen ihnen und den Schüler*innen, wie auch mit uns, belebten die Gießener Plätze und machten diese Aktion so besonders. Über Wochen haben sich die Teilnehmer*innen mit dem aktuellen Zeitgeist beschäftigt, diskutiert und wurden schließlich künstlerisch tätig, indem sie die Öffentlichkeit mit ihren künstlerischen Statements als Straßenkunst konfrontierten.
Die Gruppe Zeichnung malte eine wiederbelebte grüne, fantasievolle Stadtlandschaft auf den Gießener Bahnhofsvorplatz. Das Motiv steht für eine freundliche Erinnerung daran, wie gemütlich und schön eine Stadt, ein Zuhause sein kann und wie wichtig die gemeinsame Gestaltung dieser ist. Es steht im Kontrast zu dem dunklen Boden, welcher mit unzähligen Kaugummis befleckt ist. Auch der Ort wurde bewusst gewählt. Denn den Bahnhof passieren täglich viele Menschen. Sie verlassen die Stadt, besuchen sie oder kommen von einem anderen Ort wieder Zuhause in Gießen an. Es gibt also eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich von dem Werk inspirieren zu lassen und die gesammelten Eindrücke mit in die Welt zu nehmen.
Die Gruppe Fotografie malte auf dem Seltersweg die schwarz-weiß Fotografie einer Glasflasche ab, welche vor einem verschlossenen Fenster an den typischen Blick im Lockdown erinnern sollte. Besonders die detailtreue realistische Darstellung beeindruckte nicht nur die Passant*innen, auch wir aus dem KuKo-Team waren davon sehr beeindruckt, als wir sie am Ende bei unserem Rundgang entdeckten. An einen so polarisierten Ort so exakt und konzentriert zu arbeiten, das ist wirklich beeindruckend. Diese Erinnerung an den Lockdown sollte die einkaufsfreudigen Passant*innen daran erinnern, wie wichtig es ist, sich der neu gewonnenen Freiheiten bewusst zu sein.
Mit dem Thema der diversen Möglichkeiten und Wege der Liebe machte die Manga Gruppe am Behördenplatz mit fünf großen bunten Werken aufmerksam. Sie alle vermittelten die Botschaft, dass Liebe kein Geschlecht, Hautfarbe oder sozialen Status kennt. Liebe ist für alle Menschen da und kann die verschiedensten Formen annehmen. Ein hoch aktuelles Thema, welches unseren Schüler*innen besonders am Herzen liegt und welches vor dem Gießener Rathaus als Ort der kommunalen Politik seinen Platz fand.
Ein weiteres hochaktuelles Statement setze die Malereigruppe auf das Elefantenklo. Das Motiv war ein Selbstporträt einer Schülerin auf einem Bücherstapel, umgeben von starken klugen Frauen, wie beispielsweise Frida Kahlo und z.B. Marie Curie. Der Hintergrund zeigte einen Ausschnitt des Universums, in welchem Sterne und mathematische Formeln abgebildet waren. Unter dem Werk stand in Großbuchstaben „Queens power“. Viele Passant*innen blieben dabei stehen und kamen mit der jungen Künstlerin in einige Gespräche über das Werk, Emanzipation, Inspiration, außerdem wurden Bezüge zum Femme Festival erörtert. Die abgebildeten Porträts wurden erkannt und gelobt, was eine besondere Würdigung für die Schülerin, ihr Werk und unsere Arbeit in der Kunstwerkstatt bedeutet.
Gegen 13 Uhr waren alle Gruppen fertig und wir besuchten gegenseitig rotierend unsere Werke. Dabei kamen uns neue Inspirationen und schon jetzt steht für uns fest, dass das nicht die letzte Kunstaktion von KuKo gewesen sein wird.